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Mangelernährt im Schlaraffenland

Mangelerscheinungen im Land, wo Milch und Honig fliessen? Ja, denn der Mensch braucht nicht nur Kalorien. Sein Körper ist auch auf eine ausgewogene Nährstoffversorgung angewiesen. Bei industriell verarbeiteten Speisen stösst hier mancher an Grenzen. Fertigprodukte geizen selten mit Zucker, liegen aber punkto Vielfalt des Nährstoffangebots oft weit hinter Frischprodukten zurück.

Mangelernährung trotz Wohlstand: Wenn es nicht an Kalorien mangelt – woran dann?

An der Ausgewogenheit. Bei adipösen Menschen kann die kalorienreiche Ernährung einer ausreichenden Versorgung sogar im Wege stehen, zum Beispiel bei Vitamin D: Es wird im Fettgewebe gespeichert und damit dem Blut entzogen.

Ernähren wir uns zu fettreich?

Die panische Angst vor jeglichem Fettgehalt in Lebensmitteln ist übertrieben. Seit den 1980er-Jahren wird in den USA und auch in Europa fast hysterisch vor fett- und cholesterinhaltigen Nahrungsmitteln gewarnt, doch der Slogan «Fett macht fett» basiert auf mittlerweile widerlegten Annahmen.

Weitaus problematischer ist der zugesetzte Zucker in industriell verarbeiteten Nahrungsmitteln, er lauert fast überall: In den USA verwenden die Hersteller ihren süssen Liebling für rund 80 Prozent der Fertigprodukte, sei es für Wurst, Pizza oder Salatsauce – also weit über die eigentlichen Süssspeisen hinaus.

Zucker ist kalorienreich, Fett aber auch. Wo liegt der Unterschied?

Beim Stoffwechsel. Überschüssiger Zucker wird von der Leber zu Fett umgebaut, kann das Organ verfetten und zu einer Insulinresistenz führen.

Verwenden wir zu viel Zucker?

Der Zuckerkonsum hat explosionsartig zugenommen, aufgrund seiner Allgegenwart in Fertigprodukten bei vielen auch unbewusst. Die Zahlen sprechen jedenfalls Bände, auch in der Schweiz. Während um 1850 hierzulande im Schnitt noch 3 Kilogramm Zucker pro Kopf und Jahr verbraucht wurden, sind es heute rund 50 Kilo – eine Zunahme um gut 1500 Prozent!

In den USA verhält es sich ähnlich. Dies wäre, zusammen mit einer deutlichen Reduktion der körperlichen Aktivität, eine plausible Erklärung dafür, warum dort der Anteil Übergewichtiger trotz markanter Fettreduktion in der Ernährung dramatisch zugenommen hat.

Und handkehrum sollen frische Früchte gesund sein, sie sind ja recht zuckerhaltig?

Zuckerzufuhr mit Mass ist sinnvoll, Obst und Gemüse (am besten frisch und regional) sind auch Teil einer gesunden Ernährung, weil sie weitere wertvolle Inhaltsstoffe wie Vitamine, Mineralstoffe, Nahrungsfasern und sekundäre Pflanzenstoffe liefern.

Gilt das auch für frisch Gepresstes?

Nur bedingt. Natürlich ist im Saft der gleiche Zucker wie in der Frucht, aber die Menge macht den Unterschied. Um es zu veranschaulichen: Wer isst schon regelmässig drei bis vier Orangen aufs Mal? Genau das aber tun Sie, wenn Sie die Früchte durch den Mixer rasseln lassen und das Glas mit ein paar Schlucken leeren. Auf diesen Zucker-Tsunami ist unser Stoffwechsel nicht vorbereitet. Zudem bleiben wertvolle Pflanzenteile wie Häutchen und Fasern mitsamt den wertvollen Inhaltsstoffen meist im Mixer zurück.

Können auch Diäten oder Light-Produkte Mangelernährung auslösen?

Ja, vor allem bei unausgewogenen Diätformen. Gewichtskontrolle und vielseitige Ernährung müssen sich aber keineswegs ausschliessen, wie sich am Beispiel der mediterranen Küche zeigt.

Gibt es spezifische Symptome für Nährstoffmängel?

Sie zeigen sich oft zuerst in der Mundhöhle; an Mundschleimhaut, Zunge oder Zahnfleisch oder sogenannten Faulecken in den Mundwinkeln. Weitere Anzeichen sind ungewollter Gewichtsverlust, übermässiger Haarverlust oder Geschmacksstörungen.

Welche Produkte decken am besten ein breites Nährstoffspektrum ab?

Frische und weitgehend naturbelassene Lebensmittel im Rahmen einer gemüse- und früchtebasierten Ernährung, ergänzt durch Eiweisse und gute Fette. Als Faustregel könnte die Empfehlung von Michael Pollan gelten: Essen Sie statt nahrungsmittelähnlicher Substanzen lieber Lebensmittel, die auch unsere Grossmütter noch auf Anhieb als solche erkannt hätten.

Ist ausgewogene Ernährung auch eine Frage des Haushaltbudgets?

Nicht massgeblich. Wir geben ja bloss einen kleinen Teil unseres Geldes für Nahrungsmittel aus, da ist auch ein kleiner Aufpreis für Gesundes aus der Region keine entscheidende Budgetfrage. Ins Gewicht fällt eher der zeitliche Aufwand, preisgünstige Frischprodukte sind oft in der Zubereitung etwas aufwendiger. Das lohnt sich aber, der beste Weg zu genussvollen Mahlzeiten führt über eine gute Küche.

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