Anästhesiologie
Patient Blood Management
Auch nach einer Operation kann sich eine Eisenmangelanämie entwickeln, die einer Behandlung bedarf. Hier finden Sie wichtige Informationen und Handlungsanleitungen. Selbstverständlich stehen Ihnen unsere Spezialistinnen und Spezialisten mit Ihrer Expertise zur Verfügung.
Inhaltsverzeichnis
Was versteht man unter Patient Blood Management?
Patient Blood Management ist ein medizinisches, evidenzbasiertes und von der WHO gefordertes Qualitätskonzept, welches auch in der Schweiz durch den Bundesrat als qualitätsverbessernde Massnahme gefordert wird.
Die präoperative Anämie ist ein Risikofaktor für erhöhte perioperative Mortalität und Morbidität. Die Fremdbluttransfusion ist assoziiert mit erhöhtem Risiko für kardiovaskuläre Events, Infekte und Nierenversagen und geht mit einer verlängerten Hospitalisationszeit einher. Deshalb gilt eine unbehandelte Anämie als «relative» Kontraindikation für einen Elektiveingriff mit erwartet hohem Blutverlust.
Das PBM ist ein klinisches, interdisziplinäres Konzept zur Vermeidung von Fremdbluttransfusion, welches auf 3 Säulen basiert:
Säule 1: Optimierung des Erythrozytenvolumens
- präoperative Anämieabklärung
- Anämiebehandlung
- evtl. Abklärung durch Spezialisten
- optimale zeitliche Planung des operativen Eingriffs
Säule 2: Minimierung perioperativer Blutverluste
- Blutsparende chirurgische Methoden
- Blutstillung, Hämostase und Gerinnungsmanagement
- Einsatz von Cellsaver, kontrollierte Hypotension
- Erhalt der Normothermie
Säule 3: Verbesserung der Anämietoleranz
- Maximierung der Sauerstoffversorgung
- Restriktives Transfusionsregime
- Optimierung der Anämietoleranz
Um die präoperative Therapie wirksam durchzuführen, ist der Zeitpunkt von 4-6 Wochen präoperativ ideal. Auch kürzere Zeitintervalle bringen noch einen, wenn auch geringeren Nutzen. Nachfolgend finden sie den Leitfaden zur Behandlung der präoperativen Anämie.
Leitfaden präoperatives Management der Anämie
Bei Operationen mit erwartetem Blutverlust von über 500 ml, bzw. einer Transfusionswahrscheinlichkeit von über 10%, ist das Ziel der präoperativen Anämiebehandlung, einen präoperativen Hb-Wert von min. 130 g/l (unabhängig vom Geschlecht) zu erreichen.
Folgende Operationen sind mit höherem Blutungsrisiko assoziiert. Deshalb ist bei diesen eine präoperative Anämieabklärung und Therapie indiziert (Aufzählung nicht abschliessend):
Orthopädie und Traumatologie
Totalendoprothese der Hüfte, Revisionsoperationen grosser Gelenke, Beckenchirurgie, Tumorchirurgie
Neurochirurgie
Mehretageneingriffe und Tumorchirurgie der Wirbelsäule, Kraniotomie
Gefässchirurgie
Chirurgie der Aorta und grössere Bypassoperationen der Extremitäten
Viszeralchirurgie
Chirurgie an Oesophagus, Magen, Leber, Pankreas, Milz, Dünn-/Dickdarm, onkologische Gallenblasen- und Gallenwegschirurgie
Thoraxchirurgie
Thorakotomie mit Lobektomie, Pneumonektomie, thorakale Lymphadenektomien, Operationen am Mediastinum, intrathorakale Struma
Urologie
Radikale Prostatektomie, Zystektomie, Nephrektomie
Gynäkologie
Onkologische Abdominalchirurgie, abdominale Hysterektomie (vorbestehende Blutungs-Anämie und konsekutiver Eisenmangel sehr häufig)
Plastische Chirurgie, Kieferchirurgie
Tumorchirurgie, Grosse Lappenchirurgie
Weitere, nicht aufgelistete Eingriffe, bei denen ein Blutverlust > 500 ml erwartet wird
Die häufigste Anämieursache ist der Eisenmangel, welcher gerade auch bei Tumorerkrankungen, Nieren- und Herzinsuffizienz oder chronisch entzündlichen Systemerkrankungen auftritt.
Ein erniedrigter Eisengehalt im Blut liegt vor bei:
- Ferritin < 100 mcg/l oder
- Transferrinsättigung (TFSAT) < 20%
Im perioperativen Setting werden gemäss der aktuellen Literatur hohe Grenzwerte gesetzt.
Ferritin kann bei chronischen Erkrankungen (Tumor oder Entzündungen) erhöht sein und stellt keine Kontraindikation für eine Eisensubstitution dar. In dem Fall ist die Transferrinsättigung als massgebender Wert zu beachten (< 20%).
Zum Screening werden folgende Laborparameter bestimmt:
- Blutbild inklusive MCV und idealerweise Retikulozyten
- Ferritin, TFSAT
- CRP
- Kreatinin (ggf. Harnstoff, Cystatin C)
Auch ein Eisenmangel ohne manifeste Anämie soll präoperativ behandelt werden. Bei Anämie und erhöhtem MCV sollte eine weiterführende Abklärung der Anämie erfolgen.
Therapiealgorithmus
Zu beachten:
- Eisen: Kurzinfusion über 20-30 min unter Monitorkontrolle, z.B. Ferinject® 20 mg/kg i.v. (max 1000 mg)
- Vit. B12 1 mg s.c. z.B.: Vitarubin® (1 x Gabe)
- Folsäure 5 mg p.o. z.B.: Acidum folicum® (tgl. bis zur Operation)
- EPO-α: 600 U/kg z.B. 40’000 E Eprex® s.c. (1 x Gabe)
Bei jeder Anämiebehandlung mit Eisen wird auch Vitamin B12 und Folsäure (ohne vorherige Laborbestimmung) verabreicht.
Zur Therapiekontrolle (frühestens nach 14 Tagen) werden folgende Laborparameter bestimmt:
- Hb
- Retikulozyten
- Ferritin
- TFSAT
Behandlung der Anämie
Fe-Carboxymaltose
z.B: Ferinject® i.v., Eisencarboxymaltose® i.v.
Indikation
Nachgewiesener Eisenmangel
- Wenn die enterale Therapie nicht durchführbar oder wirkungslos
- Perioperativ kurzfristig
Risiken
- Eisenüberladung
- Infektsituation
- Anaphylaxie (0.11%)
- Erstes Trimenon (Schwangerschaft)
- Bradykardie, BD-Anstieg, Nausea/Erbrechen
- Arthralgie-Myalgie-Syndrom (2-4h nach Inj.) mit Brust-/Abdominal-/Kopfschmerzen
Vitamin B12
z.B: Vitarubin® s.c.
Indikation
Vitamin- B12-Mangel
- Erhöhter Bedarf, verminderte Zufuhr (Alkoholismus, Beriberi)
- Perniziöse Anämie, Mangel bei St.n. Magen oder Dünndarmresektion
Risiken
- Überempfindlichkeit
- Leber’sche Opticus-Atrophie
- Demaskierung eines Folsäure-Mangels
Folsäure
z.B: Acidum folicum® p.o.
Indikation
Folsäure-Mangel
- Fehlernährung, intestinale Erkrankung
- Arzneimittel-Interaktion, Schwangerschaft
- Hämolytische Anämie
Risiken
- Überempfindlichkeit
- Erregung, Schlafstörung
- Megaloblastäre Anämie (-> Vit. B12 Mangelausschliessen)
Erythropoetin
(z.B: Eprex® s.c.)
Indikation
- Stimulierung der Erythropoese vor einem grossen orthopädischen Eingriff zur Reduktion von Bluttransfusionen
- Behandlung der symptomatischen Anämie und Reduktion des Transfusionsbedarfs bei erwachsenen Tumorpatienten mit einem Hämoglobinwert von <10.5g/dl
- Chronische Anämie bei fortgeschrittener Niereninsuffizienz
Risiken
- Thromboembolische Erkrankungen
- Maligne myeloische Erkrankungen
- Unkontrollierte Hypertonie
- Präoperativ bei schwerer KHK oder cerebrovaskulärer Erkrankung
Übermittlung Abklärung und Massnahmen
Bitte übermitteln sie uns die PBM-Abklärung und Therapie-Massnahmen bzw. – Resultate vor dem Eintreffen der Patientin / des Patienten zusammen mit den allgemeinen präoperativen Abklärungen per E-Mail.
E-Learning für Hausärztinnen und Hausärzte
Die Vereinigung der Alliance-Rouge hat uns ein E-Learning zu PBM für für Hausärztinnen und Hausärzte zur Verfügung gestellt. Beim Start des E-Learnings wird vorab Ihr Name und Ihre E-Mail-Adresse abgefragt.
Quellen und weiterführende Literatur
- WHO (2024) Guidance on implementing patient blood management to improve global blood health status https://www.who.int/publications/i/item/9789240104662
- Qualitätsvertrag H+, curafutura und santésuisse (QV58a) Mai 2024 https://www.hplus.ch/de/qualitaet/qualitaetsvertrag
- Garcia-Casanovas, Albert et al. Maturity Assessment Model for Patient Blood Management (MAPBM) Working Group. Association between Adherence to Patient Blood Management Recommendations and Postoperative Complications in Hip and Knee Arthroplasty. Anesthesiology 143(1): p 24-37, July 2025
- https://alliance-rouge.ch/
- Zacharowski K, Choorapoikayil S, Meybohm P, Mehic D: Patient Blood Management: Herausforderungen und Lösungsansätze der Blutgesundheit. Anästh Intensivmed 2025;66:236–241
- Meybohm, P. ∙ Richards, T. ∙ Isbister, J. et al. Patient blood management bundles to facilitate implementation Transfus Med Rev. 2017; 31:62-71
- Leahy, M.F. ∙ Hofmann, A. ∙ Towler, S. et al. Improved outcomes and reduced costs associated with a health-system-wide patient blood management program: a retrospective observational study in four major adult tertiary-care hospitals Transfusion. 2017; 57:1347-1358
